Esther Kröger

Darf ich mit 40 noch Träume haben? von einer Lehrerin auf Kurswechsel

Träumen mit 20 – erster Kurswechsel Musiklehrerin

Ich stand in diesem schicken Kunstbedarfshandel in Bremen und wollte Aquarellfarben kaufen. Die Kassiererin war eine gute Bekannte aus der Musical-Gruppe in der ich damals gesungen und getanzt habe. Ich war etwas irritiert, dass sie dort arbeitete. Sie sagte, sie wolle nun die Ausbildung zur Kunsttherapeutin machen, schließlich sei sie erst 22 Jahre und das sei ja noch jung – jung genug, um die Ausbildung zu wechseln.

Das wars.

In dem Moment habe ich mein Wirtschaftsingeneursstudium geschmissen. Mir fehlten nur noch zwei Scheine für mein Vordiplom! Ich habe mich in einer Sekunde entschieden, Musik und Mathematik auf Lehramt zu studieren. Gymnasiallehramt. Weil Musik schon immer mein Anker war. Ich wollte nun doch Musik machen.

Und ich hatte mich in Klasse 13 wirklich intensiv mit meinem Studiengangswunsch beschäftigt und nicht einfach etwas angefangen. Ich wollte studieren, etwas mit Wirtschaft, mit der Idee in den Familienbetrieb einzusteigen. Fehlanzeige.

Von einem erfüllten Leben zu träumen ist im Teenageralter und mit Anfang 20 doch vollkommen ok und normal. Und man darf so früh einen Kurswechsel Richtung Lehrerin durchführen. Schließlich winken dort ein solider Arbeitsplatz und ein sicheres Einkommen. Du findest dich also selbst und bist zufrieden.

Jedenfalls hast du das bitte zu sein, schließlich bist du nun alt genug und kennst die Realität. Andere Menschen auf der Erde haben viel Schlimmeres auszustehen.

Puhh, da jagt doch ein alter Glaubenssatz den nächsten. Und sie laufen schreiend im Kreis. Ist das nur in meinem Kopf so? Wie sieht es in deinem aus? Kognitiv habe ich meine Glaubenssätze bereits recht gut identifiziert, aber emotional schreien sie immer noch nach Sicherheit.

Leise Träume im hektischen Alltag

Während meines Studiums hatte ich mir vorgestellt, dass ich in Teilzeit arbeite und am Wochenende auf Hochzeiten Musik mache. Ich hätte nebenbei Zeit zum Komponieren und eine CD aufzunehmen. Schließlich kann man so etwas mit einem Lehrergehalt gut finanzieren.

Ich liebe deutschen Chanson, rhythmisch, witzig, jazzig, aber bitte nicht zu schwer.

Während meines Studiums hat die Umsetzung auch gut funktioniert. Ich habe einige Stücke durchkomponiert, war im Tonstudio, hatte eine wirklich schicke Homepage und bin auf den ersten Poetry Slams aufgetreten. Dann kam mein zukünftiger Mann in mein Leben, meine Masterthesis und das Referendariat.

Musik machen neben meinem Job als Lehrerin? Ein schönes Märchen! Aus Teilzeit wurde so was von schnell Vollzeit… Dann standen meine eigene Hochzeit und unser Hausbau an. Unsere Kinder kamen dazu.

Meine Harfe? Ich kann sie spielen und ich habe immer wieder zwischendurch Hochzeiten bespielt. Aber das Covern von Musik ist auch nur eine Kopie. Diese Musik kann ich für mich zwar neu interpretieren und es macht auch immer wieder sehr viel Spaß auf der Bühne zu stehen und gecoverte Songs zu spielen. Aber man nennt das nicht umsonst Seelenmucke. Ich mache diese Musik immer nur für andere, nicht für mich selbst. Du verkaufst als Musiker so deine Seele.

Und singen tue ich auch … im Unterricht und meine Kinder in den Schlaf. Aber, so richtig befriedigend ist das nicht. Ist es nie gewesen.

Warum habe ich also nie (pardon) die Eier gehabt, einfach selbst meine geschriebenen Stücke auf den Markt zu bringen? Mal so richtig?

Achja, die Glaubenssätze!

Deine Musik ist nicht gut genug, wer will denn schon eine singende Harfenistin hören, die Produktion ist zu teuer und ganz ehrlich du musst auch mal Geld verdienen. Meine schreienden Männchen im Kopf jagen sich schon wieder im Kreis.

In den letzten 10 Jahren habe ich keinen Song komponiert. Meine Harfe stand teilweise monatelang in der Ecke und gesungen für mich selbst habe ich selten. Vielleicht einmal im Rohbau meines Hauses, mit meiner Tochter vor den Bauch geschnallt bei fünf Grad Minus.

Und weißt du was, das habe ich nicht mal bemerkt! Mein Alltag zwischen Baustelle, Windeln, Unterricht, Corona und finanzieller Sicherheit hat das nicht zugelassen.

Träumen mit 40 – zweiter Kurswechsel irgendwas mit Musik und Menschen

Aber dieser Traum ist wieder wach. Und er ist größer geworden. Denn er heißt nicht mehr ‚ich möchte Musikerin werden‘. Das wäre einfach. Es gibt mittlerweile großartige Coaching Angebote und ich hätte ein Ziel, dem ich einfach blind hinterherlaufen könnte. Und die Disziplin das durchzuziehen traue ich mir mittlerweile zu.

Mein Traum ist diffuser. Ich möchte etwas verändern. Ich kann gut mit Menschen. Ich kann gut mit Menschen auf tiefgründiger Ebene kommunizieren. Und irgendwie muss dieser Teil auch bitte befriedigt werden.

Jetzt sagst du mir, wenn ich meine eigene Musik auf der Bühne zeige, berühre ich doch einzelne Personen, dann gebe ich dir Recht. Aber in diesem Setting bin ich eher auf Sendekurs und empfange von dir als Mensch wenig.

Du sagst, als Lehrerin arbeitest du doch direkt mit Menschen zusammen.

Du hast so recht! Aber in Schule mit diesem Betreuungsschlüssel und der 45 Minutentaktung ist das für mich schwierig – und da habe ich noch nicht von meiner Hochsensibilität und meiner Scannerpersönlichkeit gesprochen.

V

Mir geht es um den Austausch, um das Voneinanderlernen, um diesen ganz besonderen Moment, der entsteht, wenn man sich gegenseitig echt sieht.

Und so fühle ich mich wieder wie eine junge Abiturientin, die nicht weiß, was sie machen soll. Mit dem Unterschied, dass ich jetzt 40 bin, seit 12 Jahren verbeamtete Studienrätin für Mathematik und Musik Gymnasium, verheiratet mit zwei kleinen Kindern und einem Haus, das abbezahlt werden will. Dies ist eine wunderbare Ausgangslage, mit Sicherheit, privater Krankenversicherung, einer Pension, einer Familie und einer wunderschönen Bleibe.

Und ich habe noch ein bisschen mehr, nämlich 20 Jahre mehr Lebenserfahrung mit dem Wissen und dem Standing, das zu tun was ich will – natürlich immer wieder mit dem notwendigen Realitätscheck.

Seelische Grundbedürfnisse: Autonomie und Bindung

Ich habe alles erreicht, was ich mir als Teenie vorgestellt habe und trotzdem ist da eine Sehnsucht, ein inneres Ziehen, dass nach Mehr ruft. Wobei ich nicht genau weiß, was dieses Mehr ist.

Und ich sitze hier in meinem Büro, schreibe diese Zeilen und will wissen, wohin die Reise geht. Jetzt. Aber ich weiß es nicht. Und das muss ich gerade einfach so akzeptieren und annehmen.

Neben den schreienden Glaubenssätzen kämpfen zwei Wünsche um meine ungeteilte Aufmerksamkeit: der Wunsch nach Sicherheit und der Wunsch nach Freiheit.

In der Psychologie sind diese beiden Wünsche nichts anderes als unsere seelischen Grundbedürfnisse nach Bindung und Autonomie. Alle unsere Wünsche und Sehnsüchte können wir darauf zurückführen. Und gerade ist mein Bedürfnis nach Freiheit und Autonomie unglaublich groß, während mein Wunsch bzw. Bedürfnis nach Bindung und Sicherheit über meine Familie und meinen Job sehr gut gestillt sind – fast schon zu viel (siehe Verbeamtung). Sie streiten, denn die Sicherheit hat Angst vor der Freiheit. Sofern Bedürfnisse Emotionen empfinden können… also metaphorisch gesprochen.

Über Hochsensibilität und Scannerpersönlichkeit

So schön meine sichere Verbeamtung ist, so einengend ist sie, so wenig schöpferisch. So hierarchisch strukturiert, starr und uninspiriert.

Lehrerin zu sein ist für mich ein Balanceakt zwischen geistiger Unterforderung auf der einen Seite und emotionaler Überforderung auf der anderen Seite. Wer zum vierten Mal exponentielle Funktionen in der Oberstufe unterrichtet hat, versteht was ich meine. Das Thema ist spannend und komplex, aber endet auch irgendwann. Und klar kann ich mein bereits erstelltes Material didaktisch neu aufsetzen, digitalisieren oder im Sinne der neuen Lernkultur öffnen, und doch bleibt es dasselbe Thema.

Wer im Herzen eine Scannerpersönlichkeit ist, immer wieder nach Neuem Ausschau hält und kreativ tätig sein möchte, stößt langfristig an seine Grenzen. Zudem sind die pädagogischen Konferenzen und Zeugniskonferenzen mit seinem Zweiminutenfokus auf einen Lernenden wenig abwechslungsreich. Sie gehen nicht in die verdiente Tiefe, da die Zeit fehlt und es werden zur Beschreibung von Verhalten und Leistung immer die gleichen Adjektive verwendet.

Mit emotionaler Überforderung meine ich eine Empfänglichkeit für das Zwischenmenschliche. Für die Emotionen dieser verschiedenen, wundervollen Menschen um dich herum, die im 45-Takt zu Scharen in deinen Klassenraum strömen. Die meisten davon sind gerade vor, in oder durch ihre erste Lebenskrise namens Pubertät gegangen und stehen durchgehend auf Sendekurs.

Du kannst nicht nicht kommunizieren heißt es doch nach Watzlawik. Wenn du wie ich eine besondere Antenne für diese Kommunikationsebene hast, verstehst du was ich meine. Und wenn du einen gesunden Abstand dazu hast, behalte ihn bloß.

‚Sehnsucht – wie das bittersüße Gefühl uns hilft, unser Leben neu auszurichten‘

Wie der Zufall so will: Anfang des Monats lag die ‚Psychologie Heute Juli 2022‘ in meinem Postfach mit dem Leitartikel ‚Sehnsucht – wie das bittersüße Gefühl uns hilft, unser Leben neu auszurichten‘. Ich habe mir diese Zeitschrift abonniert, weil mir aufgefallen ist, dass ich mich schon seit Jahren intensiv mit Themen der Psychologie beschäftige. Startschuss war damals meine bedürfnisorientierte Elternschaft – dazu aber mehr in einem anderen Artikel.

Der Leitartikel hat genau ins Schwarze getroffen.

ZITAT

Sehnsucht ist kein Luxusgefühl für Weltentrückte. Im Gegenteil: Sie kann ein Weckruf und Wegweiser sein, kann unsere Kreativität freisetzen und unsere Persönlichkeitsentwicklung voranbringen. Damit das Sehnen nicht zur Sucht wird, braucht es aber einen reflektierten Umgang. **S.12,

Allein dieses Zitat hilft, wenigstens kognitiv zu erfassen, dass ich mit 40 noch träumen darf. Dass ich mein so zielstrebig aufgebautes Leben verändern darf. Wer weiß, es könnte was Gutes dabei herauskommen?

Sehnsucht ist ein inflationär benutzter Begriff, der oft mit einem materiellen Wunsch verwechselt wird. Er klingt romantisch, esoterisch und bisweilen sogar abgedroschen. Auch in der Psychologie wird er nur wenig beleuchtet. Und doch ist Sehnsucht etwas, dass auch du kennst. Spätestens wenn du an deine erste Verliebtheit zurückdenkst, an deinen unerreichten Schwarm.

Laut des angesprochenen Artikels ist Sehnsucht bittersüß, ein Wechselspiel zwischen imaginierter Erfüllung und bitterer Realität. Sie hat immer etwas mit Schmerz zu tun, einem Seelenschmerz, der sich sehr real in deinem Körper manifestieren kann.

Ist Selbstverwirklichung Luxus?

Ja und nein, aber beantworte dir die Frage selbst.

Wahrscheinlich bejahst du die Antwort, wenn deine Grundbedürfnisse wie Gesundheit, Essen oder Dach über dem Kopf nicht gestillt sind. Du wirst dich zunächst um diese kümmern müssen, bevor du an deine seelischen Bedürfnisse denkst.

Weiter bejahst du die Frage, wenn Glaubenssätze wie ‚einen sicheren Job nicht aufgeben‘ oder ‚Selbstverwirklichung ist etwas für Esoteriker‘ dich von deiner wahren (ich nenn‘ es mal) Bestimmung abhalten und du in alten und bekannten Mustern verbleibst.

Auch wenn äußere Umstände dein Verhalten bedingen, ist es deine Entscheidung, wie du mit deinen Sehnsüchten umgehst. Einer Sehnsucht oder einem Wunsch aktiv zu folgen, bedeutet auch immer Veränderung. Und Veränderungen können schmerzhaft sein und ins Ungewisse führen. Geht es dir nachher besser als jetzt oder geht es dir schlechter?

Entscheidest du dich für deine Sehnsucht und eine Veränderung sind auch immer weitere Menschen in deiner Umgebung betroffen, deine Kinder, deine Partnerin oder Partner, deine Kolleginnen und Kollegen. Du entscheidest dich für dich. Aber dir könnte Rücksichtslosigkeit vorgeworfen werden. Spannend ist hier, die Art und Weise wie du deiner Sehnsucht folgst und deine näheren Mitmenschen in deinen Prozess integrierst.

Verneinen könntest du die Frage, wenn du der Überzeugung bist, es sei deine Pflicht ‚das Beste aus dir herauszuholen‘. Damit meine ich: du folgst deiner Sehnsucht, deiner Leidenschaft und entfaltest so dein maximales Potenzial auf einem Gebiet. Da du intrinsisch motiviert bist etwas zu tun, wirst du gut sein auf deinem Gebiet. Und wenn du diese Inhalte anderen zur Verfügung stellst, trägst du zur Weiterentwicklung und dem Allgemeinwohl bei.

Das ist für mich auch eine Grundidee einer neuen Lernkultur. Dazu mehr an anderer Stelle.

Ein weiterer Grund dies zu verneinen ist, der schlichte Wunsch nach einem glücklichen und erfüllten Leben. Ich möchte glücklich sein, dafür folge ich meiner Sehnsucht und verändere etwas in meinem Leben (z.B. meinen Job als Lehrerin). Tue ich das nicht, werde ich langfristig krank.

Welche Gründe hast du die Frage ‚Ist Selbstverwirklichung Luxus?‘ Zu bejahen oder zu verneinen?

Fazit

Und so gestehe ich mir ein, dass ich 40 bin. Ich bin stolz auf meine 40. Aber ich gestehe mir auch ein, dass ich Träume habe und dass für diese Träume ein Platz in meinem Leben ist. Ich arbeite daran, diese nervige Ungewissheit und mein Chaos im Kopf zu akzeptieren. Und ich arbeite daran, dass die sich jagenden Männchen in meinem Kopf namens Glaubenssätze leiser werden.

Meine Planlosigkeit habe ich zu meinem neuen Plan gemacht:

Dem Plan keinen Plan zu haben.

Ist das nicht immer so, wenn etwas Altes endet und etwas Neues beginnt? Wie sagt Hesse noch? Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft zu leben.

Esther kröger

Moin!

Wenn man als Lehrkraft über den Tellerrand blickt, kann dieser Blog herauskommen. Seit 12 Jahren Mathematik & Musik Gymnasium und nun Heilpraktikerin für Psychotherapie in Weiterbildung – die wirklich interessanten Dinge gibt es, wenn du auf das Bild links klickst.

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