Was ist Stress in Schule?
Äußere Umstände & fehlende Strategien sind ein Grund für Burnout: Eine Woche vor den Herbstferien fällt deiner Schulleitung (oder dem Land) ein, dass die Zustimmung der Eltern für die Erneuerungen der Datenschutzrichtlinien noch vor dem ersten Ferientag im Klassensatz, alphabetisiert im Sekretariat vorliegen muss.
Du hast also fünf Tage Zeit, die Kopien zu verteilen und unterschrieben wieder einzusammeln. Wenn dann Kinder in deiner Klasse krank sind, die Klasse auf einem Ausflug ist, du auf einer Fortbildung oder andere Dinge den regelmäßigen Verlauf einer Schulwoche stören, wird das Einhalten der Vorgaben deines Dienstherren zur Mammutaufgabe. Und da habe ich noch nicht von den Schüler:innen gesprochen, die gerne mal vergessen, Mama oder Papa Dinge zum Unterschreiben mitzugeben.
Dieses Szenario, genauso wie Feueralarm oder Schlimmeres, ein Unfall eines Schülers oder Langzeitkrankheit einer Schülerin oder Lehrkraft sind externe Stressoren, die auf dich und deine Schüler:innen einwirken. Diese kannst du kaum beeinflussen.
Aber du kannst beeinflussen, wie du auf sie reagierst. Psychische Stressoren sind deine Bewertungen der Dinge, die um dich herum passieren. Nimmst du die Vorgaben deines Dienstherren sehr ernst und bist akribisch dabei, jedem Schüler, jeder Schülerin hinterher zulaufen und die Unterschriften einzusammeln? Oder gibst du das Einsammeln an zwei zuverlässige Schüler:innen ab? Oder ist dir egal, dass die Unterschriften rechtzeitig im Sekretariat liegen (immer an die Merci-Tafel für deinen Sekretär denken!)? Beruhend auf deinen eigenen Erfahrungen gehst du anders mit äußeren Stressoren um als dein Kollege oder deine Kollegin.
Eng damit verknüpft sind die internen Stressoren: Rückenschmerzen, Einschlafschwierigkeiten bzw. Krankheiten und Beeinträchtigungen im Allgemein. Sie bedingen psychischen Stress, können aber auch aus psychischem Stress entstehen – ein Henne-Ei-Problem. Was war als erstes da?
Stress – woher kommt der Begriff?
Stress. Häufig verwendetes Wort, ständig zugegen, immerdar. Aber woher kommt der Begriff eigentlich? Eigentlich kommt er aus dem Englischen, aus der Physik und ganz ursprünglich aus dem Lateinischem (wer hätte es gedacht) von stringere: überspannen. In der Physik ist Stress eine Kraft, die von außen auf ein Material wirkt und es so verändert, durch Verzerren, Biegen oder sogar Brechen. Im mittelalterlichen England wurde Stress als ‚äußere Not und auferlegte Mühsal‘ verwendet – also weg von Materialien aus der Physik hin zum Menschen.
Die Fachliteratur nutzte den Begriff als erstes 1914 (Walter Cannon), doch so richtig populär wurde er in den 50er Jahren durch Hans Seyle (Forschungen in Österreich und später Kanada). Er gilt als Vater des modernen Stressbegriffs und entwickelte das ‚Generelle Anpassungssyndrom‘ (unten mehr).
Stress und Evolution – der Sinn von ‚Stress‘
Als erstes da ist unser Betriebssystem, dessen evolutionäre Programmierung uns Menschen bei Stress alle gleich reagieren lässt. Oft wird von dem bösen Säbelzahntiger gesprochen, der dich als Urzeitmensch fressen will und mit dem du kämpfen oder vor dem du fliehen musst.
Diese Geschichte klingt doch immer wie ein Märchen, aber sie sagt folgendes aus: Dein Gehirn hat ein altes Betriebssystem, das deinen Körper in einer Stresssituation (Säbelzahntiger) in Millisekunden auf den Modus Fight, Flight oder Freece setzt. Dies ist ein hochkomplexer Vorgang zwischen deinen Sinneskanälen, einzelnen Arealen deines Gehirns (Neokortex, limbische System und weiteren) sowie den Stresshormonen Adrenalin, Noradrenalin, Kortisol u.a..
In deiner Schule steht aber kein Säbelzahntiger im Gang, sondern ‚nur‘ ein tobender Schüler, eine Direktorin mit Datenschutzrichtlinien oder der Korrekturenberg. Wo ist hier bitte die Bedrohung an deinem Leben?
Fliehst du als Urmensch vor dem Säbelzahntiger, so wird die Bedrohung irgendwann vorbei sein. Entweder du hast gekämpft und gesiegt oder bist weggelaufen, hast dich versteckt und der Tiger hat das Interesse verloren oder du bist erstarrt und der Tiger hat dich nicht gesehen (hoffen wir das mal).
Auf eine hochstressige, körperliche Reaktion folgt auch immer die Entspannung deines Körpers.
Passiert das auch in Schule?
Stressforschung nach Hans Seyle
Hans Seyle, ein junger Endokrinologe, stieß 1936 bei der Suche nach einem unbekannten Eierstockhormon auf die physische Auswirkung der Versuchsprozedur an Ratten. Die Tiere waren handlungsunfähig, sie konnten sich nicht verteidigen, noch weglaufen. Die Sektionen ergaben: die Thymusdrüse ist verkleinert, die Mägen zeigen Magengeschwüre und die Nebennieren produzieren viel Kortisol. Seyle gab dem, was die Tiere durchmachen mussten, den Namen Stress. [SuB S.24]. Weitere Experimente ergaben, dass der Körper immer gleich reagierte, egal ob die Stressoren positiv oder negativ waren.
Er unterteilte die Stressreaktion des Körpers in drei Phasen, dem ‚generell adaption syndrom‘, im Deutschem ASS, allgemeines Anpassungssyndrom:
Phase 1 – die Alarmreaktion
Unser Urmensch erblickt den Säbelzahntiger: Der Sympathikus wird aktiviert und die Konzentration von Adrenalin, Noradrenalin, ACTH und Kortisol im Blut erhöht sich. Die Stresshormone im Blut lassen den Blutdruck ansteigen, die Pulsfrequenz und der Muskeltonus erhöhen sich und die Blutzuckerreserven werden verbraucht. Der Fokus des Urmenschen ist auf den Stressor fokussiert.
Phase 2 – das Widerstandsstadium
Der Zuckerstoffwechsel erhöht sich und die Empfindlichkeit der Gefäßstruktur nimmt zu, sodass das Adrenalin und Noradrenalin aufgenommen wird, die Schilddrüsen und Sexualfunktion sind gedämpft.
Der Körper versucht die Stresshormone zu reduzieren und wieder in die Entspannung zu gelangen. Dies gelingt, wenn der Stressor (also der Säbelzahntiger) verschwindet. Gelingt es dem Körper nicht zu entspannen folgt
Phase 3 – die Erschöpfungsphase
Die Immunabwehr, die Reproduktions- und die Wachsstumsfunktion brechen zusammen. Es sind zwar Energiemobilisierungen möglich, diese aber nur kurzfristig. Langfristig vergrößert sich die Nebenniere (Produktion von Kortisol) und die Thymusdrüse (maßgeblich für die Immunabwehr) schrumpft.
Du kannst sagen, dass die erfolgreiche Anpassung an den Stressor nicht gelungen ist.
Hier findest du den Stress, den dein tobender Schüler, die neuen Datenschutzbestimmungen deiner Direktorin und deine Korrekturenberge in dir auslösen und du kannst das Burnout-Syndrom einordnen.
Stress nach Richard Lazarus
Wie bereits erwähnt, spielen im Bereich der psychischen Stressoren deine Bewertungen eine entscheidende Rolle. Neben dem reatkionsorientiertem Stressmodell von Seyle möchte ich dir das interaktionsorientierte Stressmodell des amerikanischen Stressforschers Richard Lazarus vorstellen:
nach Lazarus‘ Theorie ‚resultiert das Erleben von Stress stets aus den Wechselbeziehungen (von Lazarus als Transaktion bezeichnet) von Individuum und Umwelt. Hierbei spielen kognitive Bewertungsprozesse und vorhandene Bewältigungsfertigkeiten eine zentrale Rolle.‘ [BOEpidemie S. 130]. Du erfährst also (äußeren) einen Stressor, bei dem deine subjektive Verarbeitung dazu führt, dass du eine Stressreaktion im Körper hast.
Bewertungen
Nun steht hier die Begriffe ‚deine Bewertungen‘ und ‚kognitiver Bewertungsprozess‘. Das liest sich so handfest und greifbar, aber leider ist es das nicht. Denn häufig sind dir deine eigenen Bewertungen nicht bewusst. Hier verbergen sich Glaubenssätze und wenn du Pech hast tiefliegende Trauma, die dich in deinem Handeln beeinflussen. Ob du einen äußeren Stressor als solchen empfindest ist aus den Erfahrungen heraus in deinem Gehirn abgespeichert, sodass dein Organismus in Millisekunden darauf zugreifen kann.
Oft wird davon gesprochen, dass 85% unseres Handelns im Unterbewusstsein organisiert wird. Das meine ich hier. Deine Bewertungen sind zunächst (!) unbewusst.
Fazit, was langanhaltender Stress bei Lehrkräften bewirkt
Die Stressoren in Schule sind nicht vergleichbar mit dem urzeitlichem Säbelzahntiger. Aber die Masse an äußeren Stressoren, deine individuelle Bewertung dieser und die fehlende Entspannung nach einer Anspannungsphase können zu langanhaltendem Stress in deinem Körper führen und schließlich zu Burnout.
Stell dir das wie ein Stresskonto. Du erlebst Stress und baust ihn nicht oder nur teilweise ab. Dann erfährst du wieder Stress und wieder und füllst dein Stresskonto immer weiter. Irgendwann kann dein Körper nicht mehr.
Und deswegen ist die Aktivierung deiner Ressourcen als Lehrkraft so wichtig. Denn du hast einen stressigen Job. Punkt. Achtest du nicht auf dich, gehörst du mit zu den 30% an Lehrkräften, die Burnout gefährdet sind. Also, gib auf dich Acht. Es tut kein anderer für dich.